
Doppel-Spitze
Doppel-Spitze
Maserati 3500 GT Spyder Vignale und Mistral Spyder verkörpern italienische Grandezza in ihrer schönsten Form – und könnten kaum gegensätzlicher sein.
Er ist ein schwerer Wagen und vermittelt seinem Fahrer dennoch ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Man nähert sich ihm mit einer gewissen Ehrfurcht, seine gestreckte Silhouette mit dem lasziven Schwung über den hinteren Radhäusern lässt ihn länger erscheinen als 4,50 Meter. Unergründlich schimmert sein dunkles, beinahe schwarz anmutendes Verde Inglese in der Sonne, so als brächen sich ihre Strahlen in einem verwunschenen Bergsee. Der breite Schweller wirkt wie ein Bollwerk gegen die Hektik des Alltags, nachdem man den winzigen Wagenschlag geöffnet hat und vorsichtig auf den Fahrersitz geglitten ist. Das Wörtchen „auf“ ist mit Bedacht gewählt, denn der offene 3500 GT vermittelt nicht die klaustrophobische Enge eines Sportwagens. Die Pracht und Weite seines Innenraums sind berückend, man thront über dem Geschehen, der Blick schweift über die nicht enden wollende Motorhaube. Weder beeinträchtigt das tief stehende Lenkrad die Aussicht noch beschneidet die knapp geschnittene Sitzschale die Bewegungsfreiheit allzu sehr.
Ein Gedicht von einem Motor
Das Asphaltband, auf welches wir uns gleich einfädeln werden, wird fast zur Nebensache. Aber eben nur fast, bis das Schlüsselchen links neben dem Lenkrad nach rechts gedreht wird, das Zündungs-Kontrolllämpchen aufleuchtet, man den Schlüssel behutsam ins Schloss drückt und der famose Reihensechszylinder seidenweich und nahezu vibrationsfrei zum Leben erwacht. Der Langhuber ist, notgedrungen, ein direkter Verwandter des Motors im 350S, weil der geplante V8 für den 450S mehr Entwicklungszeit brauchte. Für den Einsatz im Rennsportwagen muss Chefingenieur Giulio Alfieri das Triebwerk allerdings stark modifizieren. Er ersetzt zum Beispiel den Nockenwellenantrieb per Kette und Zahnräder durch einen per Zahnradkaskade und erhöht die Verdichtung, lässt aber das Bohrung-Hub-Verhältnis unangetastet. 290 statt 220 PS sind schließlich die Folge. Schon 220 sind genug, um Konkurrenten wie dem 215 PS starken 300 SL Roadster Paroli zu bieten, die der zwei Jahre nach dem von Touring eingekleideten Coupé präsentierte Spyder preislich damals so mühelos abhängt wie ein Rennsportwagen eine Diesel-Heckflosse: Umgerechnet etwa 45 000 Mark sind für die Skulptur auf Rädern fällig, 32 500 kostet der offene 300 SL – die Differenz entspricht etwa dem Gegenwert eines Porsche 356 B 1600 Roadster. Erlesener Geschmack hat eben seinen Preis. Das spiegelt sich auch in den Stückzahlen wider. Wurden einst 1858 Exemplare des 300 SL Roadster gebaut, sind es vom Maserati lediglich 204 GT und 56 GTI Spyder Vignale. Wie eine echte Diva ihr Alter verschleiert der Spyder dabei seine wahre Stückzahl, manche Quellen nennen auch 245 oder lediglich 242 Exemplare. Im Gegensatz zum von Touring nach dem Superleggera-Prinzip eingekleideten Coupé mit Leichtmetall-Aufbau zeichnet für den Spyder Vignale verantwortlich, nachdem Touring zunächst zwei, nach anderen Quellen drei offene Exemplare mit dem Radstand des 3500 GT vorgestellt hatte. Die Vignale-Version, deren Design Giovanni Michelotti zugeschrieben wird, basiert hingegen auf jenem um zehn Zentimeter kürzeren Fahrgestell, das ab 1962 auch für das 3500 GTI S Coupé, also den späteren Sebring eingesetzt wird. Wie beim ebenfalls unter Vignale-Ägide entstandenen 3500 GTI S besteht die tragende Karosseriestruktur des Spyder aus Stahlblech, nur die Türen und Hauben sind aus Aluminium, ebenso das optionale Hardtop. Beim 1964 präsentierten Mistral Spyder mit von Pietro Frua entworfenem Blechkleid kehrt Maserati indes zu einem Touring-ähnlichen Prinzip zurück und spannt die Karosserie über einen modifizierten Rahmen mit Vierkant-Rohren und hinterer Hilfsstruktur. Während das Coupé aus Leichtmetall besteht, kommt beim Mistral Spyder eine Stahl-Alu-Gemischtbauweise zum Einsatz, die Karosserieteile fertigt und montiert Maggiora in Turin.
DATEN UND FAKTEN
Maserati 3500 GT Spyder
Vignale, Baujahr 1961
MOTOR Typ AM 101, wassergekühlter Sechszylinder-Reihenmotor, vorn längs, Bohrung x Hub 86 x 100 mm, Hubraum 3485 cm³, Leistung 220 PS bei 5500/min, max. Drehmoment 314 Nm bei 4000/min, Verdichtung 8,2 : 1, zwei Ventile je Brennraum, betätigt über zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen und Kipphebel, Kurbelwelle siebenfach gelagert, Motorblock und Zylinderkopf aus Leichtmetall, drei Horizontal-Doppelvergaser Weber 42DCOE8, Doppelzündung, Druckumlaufschmierung, Ölinhalt 12 Liter
KRAFTÜBERTRAGUNG Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfgang-Schaltgetriebe ZF S5/17 (bis 1960 Vierganggetriebe), a. W. Sperrdifferenzial, Hinterradantrieb
KAROSSERIE UND FAHRWERK 2-sitzige Roadster-Karosserie aus Stahlblech mit Türen und Hauben aus Aluminium auf Rohrrahmen, vorne Einzelradaufhängung an Dreieckslenkern, Schraubenfedern, hinten Starrachse an Blattfedern und Zugstreben, vorne und hinten Stabilisator und Teleskopstoßdämpfer, servounterstützte hydraulische Bremsen (vorne Scheiben, hinten Trommeln), Kugelumlauflenkung, Räder 6,50 x 16, Reifen 185 R 16
MASSE UND GEWICHTE Radstand 2500 mm, Spurweite vorne/hinten 1390/1360 mm, Länge x Breite x Höhe 4500 x 1700 x 1300 mm, Gewicht 1440 kg, Tank 75 l
FAHRLEISTUNGEN UND VERBRAUCH Vmax 215 km/h, Beschl. 0 bis 100 km/h in 10 s, Verbrauch 13–18 l/100 km
BAUZEIT UND STÜCKZAHL 1959–1964, 204 GT und 56 GTI Spyder Vignale
Maserati Mistral 3700
Spyder, Baujahr 1965
MOTOR Typ AM 106, wassergekühlter Sechszylinder-Reihenmotor, vorn längs, Bohrung x Hub 86 x 106 mm, Hubraum 3694 cm³, Leistung 245 PS bei 5800/min, max. Drehmoment 350 Nm bei 4000/min, Verdichtung 8,8 : 1, zwei Ventile je Brennraum, betätigt über zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen und Kipphebel, Kurbelwelle siebenfach gelagert, Motorblock und Zylinderkopf aus Leichtmetall, mechanische Lucas-Saugrohreinspritzung, Doppelzündung, Druckumlaufschmierung, Ölinhalt 9 Liter
KRAFTÜBERTRAGUNG Einscheiben-Trockenkupplung, Fünfgang-Schaltgetriebe ZF S5/20, a.W. Sperrdifferenzial, Hinterradantrieb
KAROSSERIE UND FAHRWERK 2-sitzige Roadster-Karosserie in Stahlblech-Leichtmetall- Gemischtbauweise sowie mit Türen und Hauben aus Alu auf Vierkant-Rohrrahmen, vorn Einzelradaufhängung an Dreieckslenkern, Schraubenfedern, hinten Starrachse an Blattfedern und Zugstreben, vorne und hinten Stabilisator und Teleskopstoßdämpfer, servounterstützte hydraulische Bremsen (Scheiben v./h.), Kugelumlauflenk., Räder 6,00 x 16, Reifen 185 R 16
MASSE UND GEWICHTE Radstand 2400 mm, Spurweite vorne/hinten 1390/1360 mm, Länge x Breite x Höhe 4500 x 1650 x 1300 mm, Gewicht 1430 kg, Tank 75 l
FAHRLEISTUNGEN UND VERBRAUCH Vmax 245 km/h, Beschl. 0 bis 100 km/h in 7,5 s, Verbrauch 12–15 l/100 km
BAUZEIT UND STÜCKZAHL 1964–1969, 27 3,5-Liter, 46 3,7-Liter, 51 4,0-Liter (Spyder)
FAZIT
Wichtig ist bei klassischen Maserati eine top gewartete Technik – schon früher die Achillesferse, weil es im Gegensatz zu Ferrari kein versiertes Werkstattnetz gab. Bis allein der Foto-Mistral wieder in neuem Glanz erstrahlte, vergingen gut 4000 Stunden. Der Aufwand lohnt sich, denn 3500 GT und Mistral so zu erleben, wie sie einst das Werk verließen, gleich ob als Coupé oder Spyder, ist ein eindrucksvolles Erlebnis.